Neue Erlasse zur Selbstanzeige und zur Berichtigung nach § 153 AO

Gastbeitrag von Rainer Biesgen im Deutschen AnwaltSpiegel 14/2016

Einleitung

In den vergangenen Jahren wurden die gesetzlichen Voraussetzungen für eine strafbefreiende Selbstanzeige zweimal verschärft. Durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz (BGBl. I 2011 S. 676) erfolgte mit Wirkung vom 03.05.2011 insbesondere die Abschaffung der strafbefreienden Teilselbstanzeige, und die einheitliche Selbstanzeige für alle strafrechtlich verjährten Jahre einer Steuerart wurde notwendig. Dies waren grundsätzlich fünf Jahre und im Fall der Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall zehn Jahre. Daneben wurden neue Sperrgründe geschaffen, insbesondere dass bereits der Zugang der Prüfungsanordnung und nicht erst das Erscheinen des Prüfers eine Sperrwirkung auslöst. Zudem wurde für Steuerverkürzungen über 50.000 Euro, bezogen auf das jeweilige Jahr, das Absehen von der Strafverfolgung von der Zahlung eines Zuschlags in Höhe von 5% abhängig gemacht.

Eine weitere Verschärfung erfolgte dann durch eine erneute Gesetzesänderung mit Wirkung zum 01.01.2015 (BGBl. I 2014 S. 2415). Hier wurde insbesondere neu geregelt, dass eine strafbefreiende Selbstanzeige auch bei Fällen einfacher Steuerhinterziehung stets mindestens „zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Jahre erfolgen muss.“ Der zu zahlende Zuschlag setzt jetzt schon bei einer Steuerverkürzung von 25.000 Euro ein und wurde in § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO je nach Höhe der Steuerhinterziehung auf 10% bis 20% erhöht.

Auch die neue Gesetzesänderung warf jedoch wieder neue Zweifelsfragen auf. Das Finanzministerium NRW hat nunmehr in einem aktuellen Erlass zu einigen dieser Fragen Stellung genommen (Erlass vom 12.01.2016 – S 0702-8 f – V A 1).

In der Praxis führt häufig die Abgrenzung einer strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO von einer steuerrechtlich gebotenen Berichtigung unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen nach § 153 AO bei einem nachträglichen Erkennen der Unrichtigkeit der Erklärung zu Diskussionen mit der Finanzverwaltung. Die Schwierigkeiten wurden dadurch verschärft, dass der Bundesgerichtshof (BGH, NJW 2009 S. 1984) entschieden hat, dass eine Berichtigungserklärung nach § 153 AO auch dann vorzunehmen ist, wenn ursprünglich eine bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung vorlag und der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit seiner Erklärung später sicher erkennt. Das Bundesfinanzministerium hat jetzt mit lange angekündigtem Schreiben vom 23.05.2016 (IV A 3 – S 0324/15/10001, IV A 4 – S 0324/14/10001, DStR 2016 S. 1218) den Anwendungserlass zur Abgabenordnung (BStBl I 2014 S. 290, zuletzt geändert in BStBl I 2016 S. 155) um Erläuterungen zu § 153 AO ergänzt.

Angesprochen werden können jeweils nur die wichtigsten Regelungen.

Erlass zur Selbstanzeige: Berichtigungszeitraum

Die wichtigste Klarstellung ist, dass nunmehr die Auffassung der Finanzbehörde bezüglich der Berechnung des Zehnjahreszeitraums, für welchen die Selbstanzeige mindestens erfolgen muss, veröffentlicht wurde.

Diese sei nicht auf den Tag genau zurück ab dem Tag der Selbstanzeige, sondern für volle Kalenderjahre zu berechnen. Danach sei auf die Steuerstraftaten der letzten zehn vollen Kalenderjahre abzustellen, die dem Jahr der Selbstanzeige vorangehen. Bei einer Selbstanzeige im Jahr 2016 wären somit die Angaben zu Steuerstraftaten derselben Steuerart aus den Jahren 2006 bis 2015 zu berichtigen. Daneben wären auch die im Jahr 2016 angegebenen Steuerstraftaten zu berichtigen. Dies bedeutet nun nicht, dass nur die unrichtigen Steuererklärungen für die Jahre 2006 bis 2016 zu berichtigen wären. Vielmehr müssen alle in diesen Zeitraum fallenden Angaben zu Steuerstraftaten berichtigt werden.

Bei einer Steuerhinterziehung durch Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung sei auf den Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung und nicht den späteren Zeitpunkt der Bekanntgabe des Steuerbescheids abzustellen. Wurde etwa die Einkommensteuererklärung 2004 im Jahr 2005 abgegeben und erging der Steuerbescheid 2006, muss danach bei einer Selbstanzeige 2016 keine Berichtung dieser Erklärung erfolgen. Zu beachten ist jedoch, dass diese Erklärung dann ebenfalls mit zu berichtigen ist, wenn diese Steuerhinterziehung zum Zeitpunkt der Abgabe der Selbstanzeige noch nicht strafrechtlich verjährt ist. Das kommt in Betracht, wenn die zehnjährige Verjährung bei einer Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall greift, da diese Frist erst auf den Tag genau mit der Bekanntgabe des Steuerbescheids beginnt. Wäre somit der Steuerbescheid für 2004 im November 2006 ergangen, wäre bei einer Selbstanzeige heute dieses Jahr noch einzubeziehen.

Dagegen will der Erlass bei einer Steuerhinterziehung durch Nichtabgabe der Steuererklärung für den Zehnjahreszeitraum nicht auf den Zeitpunkt der Tatbegehung, sondern den der Tatvollendung abstellen. Dieser ist erst erreicht, wenn für das betreffende Jahr 95% der Steuererklärungen des jeweiligen Finanzamts eingereicht sind. Dies ist regelmäßig im Lauf des übernächsten Kalenderjahrs der Fall, so dass daher bei einer Selbstanzeige im Jahr 2016 regelmäßig das Jahr 2004 noch einzubeziehen ist, wenn ursprünglich keine Steuererklärung eingereicht wurde.

Bemessung des Zuschlags nach § 398a AO

Leider nimmt der Erlass den Standpunkt ein, dass bei mehreren Tätern jeder den Zuschlag auf die gemeinsam hinterzogene Steuer in voller Höhe zahlen muss. Dies kann insbesondere bei der Hinterziehung betrieblicher Steuern durch Geschäftsführer zu untragbaren Belastungen führen, weil diese den Zuschlag persönlich schulden. Waren etwa vier Geschäftsführer für eine Steuerhinterziehung zugunsten des Unternehmens im Umfang von 1,1 Millionen Euro verantwortlich, muss jeder einen Zuschlag von 220.000 Euro zahlen. Dies auch dann, wenn die Steuerhinterziehung in einer verspäteten Einreichung der Steuererklärung bestand.

Positiv ist, dass das Kompensationsverbot für die Berechnung des Zuschlags nach dem Erlass nicht anzuwenden ist. Abzustellen ist auf die tatsächlich entstandene Steuerschuld. Das ist besonders bei der Umsatzsteuer von Bedeutung. Wird etwa eine Umsatzsteuererklärung nicht eingereicht und betragen die Umsatzsteuer 1,5 Millionen Euro und die Vorsteuer 1,4 Millionen Euro, ist der Zuschlag nur aus einem Betrag von 100.000 Euro zu berechnen. Für den anzuwendenden Prozentsatz soll dagegen das Kompensationsverbot gelten, so dass sich hier ein Satz von 20% ergäbe, da hier nur auf die Umsatzsteuer von mehr als 1 Million Euro abzustellen wäre.

Anwendungserlass zu § 153 AO: Berichtigungspflichtige

Zum berichtigungspflichtigen Personenkreis gehören nach § 153 AEAO Nr. 4 neben dem Steuerpflichtigen auch dessen Gesamtrechtsnachfolger, nicht dagegen deren steuerliche Berater. Bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten unterliegen nur die unzutreffend erklärten eigenen Besteuerungsgrundlagen des jeweiligen Ehegatten der Berichtigungspflicht. Ist jedoch ein Ehegatte Erbe des anderen Ehegatten, muss er auch die Angaben zu dessen unrichtig erklärten Einkünften rückwirkend für alle noch nicht festsetzungsverjährten Jahre berichtigen. Dies sind im Fall einer Steuerhinterziehung zehn Jahre vor dem Todeszeitpunkt. Nicht klargestellt wird im Erlass, dass dies nicht gilt, wenn der überlebende Ehegatte bereits bewusst vorsätzlich an der Steuerhinterziehung des anderen Ehegatten mitgewirkt hatte (Seer in Tipke/Kruse § 153 AO Rn. 11b).

Voraussetzungen der Berichtigungspflicht und Abgrenzung zur Selbstanzeige

Ein nachträgliches Erkennen einer Unrichtigkeit liegt noch nicht bei einem bloßen Erkennenkönnen oder Erkennenmüssen vor (Tz. 2.4.). Erkennen bedeutet das Wissen von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Erklärung sowie die Erkenntnis, dass es durch die Erklärung zu einer Verkürzung der Steuer kommen kann oder bereits gekommen ist. Ein nachträgliches Erkennen kann auch vorliegen, wenn die ursprüngliche Unrichtigkeit leichtfertig (Tz. 2.7.) oder bedingt vorsätzlich (Tz. 2.2.) erfolgte.

Eine Berichtigungserklärung bietet der Finanzbehörde immer Anlass zu prüfen, ob ursprünglich eine (bedingt) vorsätzliche oder leichtfertige Steuerverkürzung vorlag. Dann wird sie ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung oder Ordnungswidrigkeit einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) einleiten. Die Berichtigung muss dann die deutlich strengeren Anforderungen einer Selbstanzeige nach § 371 AO oder § 378 AO erfüllen, um die Strafbarkeit der ursprünglichen Steuerhinterziehung zu beseitigen.

Der Erlass stellt jetzt klar (Tz. 2.5.), dass nicht jede objektive Unrichtigkeit den Verdacht einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit nahelegt. Ein Anfangsverdacht bedürfe einer sorgfältigen Prüfung. Insbesondere könne nicht automatisch allein aufgrund der Höhe der steuerlichen Auswirkung der Unrichtigkeit oder der Anzahl der Berichtigungen ein Anfangsverdacht angenommen werden.

Betont wird für die Prüfung die mögliche positive Bedeutung der Tax-Compliance. Habe der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten eingerichtet, könne dies ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann (Tz. 2.6.). Mit dem Nachweis einer Tax-Compliance dürfte daher der Steuerpflichtige seine Chancen deutlich erhöhen, dass die Finanzbehörde eine Berichtigungserklärung nicht als Selbstanzeige wertet und kein Strafverfahren einleitet, in welchem deren strenge Voraussetzungen geprüft werden.

Anzeige- und Berichtigungszeitpunkt

Zu unterscheiden ist zwischen der bloßen Anzeige, dass die ursprüngliche Erklärung unrichtig ist, und der Berichtigung, also der Darstellung der richtigen Besteuerungsgrundlagen. Die Anzeige muss nach § 153 Abs. 1 Satz 1 AO unverzüglich, mithin ohne schuldhaftes Zögern, nach dem Erkennen der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit abgegeben werden. Dagegen kann nach Nr. 5.1 die Berichtigung auch später erfolgen, wenn hierfür eine gewisse Zeit zur Aufbereitung der Unterlagen erforderlich ist. Der Steuerpflichtige sollte die erforderliche Zeitdauer gegenüber dem Finanzamt begründen und kann zur Fristwahrung auch vorläufige Angaben machen. Ihm ist von der Finanzbehörde eine angemessene Frist zu gewähren.

In Fällen der Berichtigung einer zuvor bedingt vorsätzlich unrichtigen Steuererklärung stellt die Berichtigung zugleich eine Selbstanzeige i.S.d. § 371 AO dar. Nach Tz. 5.2. sei daher eine Anzeige nach § 153 AO so lange als unverzüglich zu werten, wie dem Steuerpflichtigen eine angemessene Zeit zur Aufbereitung einer Selbstanzeige nach § 371 AO zuzugestehen wäre.