Strafprozessualer Beschuldigtenschutz für Unternehmen: Anmerkung zu einem praxisrelevanten Beschluss des LG Braunschweig
Gastbeitrag von Prof. Dr. Heiko Ahlbrecht im Deutschen AnwaltSpiegel 02/2016
Im Rahmen von internen Untersuchungen stellt sich regelmäßig die Frage, ob Interviewprotokolle, Ergebnisberichte und andere im Laufe der Untersuchung angefertigte Dokumente vor staatlicher Beschlagnahme geschützt sind. Hierzu hat sich unlängst das Landgericht (LG) Braunschweig positioniert: Unterlagen, die im Rahmen einer internen Untersuchung erstellt worden sind, unterliegen einem Beschlagnahmeverbot, sofern sie (auch) zum Zwecke der Verteidigung des Unternehmens in einem möglichen Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren gefertigt wurden (Beschluss vom 21.07.2015, Az. 6 Qs 116/15). Dieses Beschlagnahmeverbot gilt für alle Unterlagen in den Geschäftsräumen des Unternehmens, die schon vor der förmlichen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu Verteidigungszwecken gefertigt wurden, unabhängig davon, ob sie von externen Anwälten, Syndici oder sonstigen Mitarbeitern des Unternehmens erstellt worden sind.
Schutz von Unterlagen im Gewahrsam des Beschuldigten
Allgemein besteht für Verteidigungsunterlagen, also für schriftliche Mitteilungen zwischen dem individuell Beschuldigten und seinem Verteidiger, ein umfassendes Beschlagnahmeverbot (§§ 97 Abs. 1 Nr. 1, 148 Abs. 1 StPO). Dieses gilt nach der Rechtsprechung auch dann, wenn der Beschuldigte die Unterlagen selbst erkennbar zum Zwecke seiner Verteidigung in dem gegen ihn laufenden Strafverfahren erstellt hat und sie sich in seinem Gewahrsam befinden (BGH, Urteil vom 25.02.1998 – Az. StR 490/97). Zwar können Unternehmen selbst nicht Beschuldigte im Sinne der StPO sein. Gleichwohl kommen sie als Verfalls- oder Einziehungsbeteiligte und als Adressaten einer Unternehmensgeldbuße nach §§ 30, 130 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) in Betracht. Folgerichtig stuft die StPO in all diesen Fällen die Beziehung zwischen dem Unternehmen und einem von diesem mandatierten Rechtsanwalt als Verteidigungsverhältnis ein (§§ 444 Abs. 2 Satz 2, 442 Abs. 1, 434 Abs. 1 Satz 2, 148 StPO). In der Konsequenz können auch Verteidigungsunterlagen von Unternehmen einem Beschlagnahmeverbot unterliegen. Der für den Beschlagnahmeschutz erforderliche Verteidigungszweck der Unterlagen ergibt sich für das LG Braunschweig bereits aus dem zeitlichen Zusammenhang, etwa wenn die internen Ermittlungen einer Durchsuchung nachfolgen.
Das LG Braunschweig betont, dass gerade bei komplexen Wirtschafts- und Steuerstrafsachen bereits die eigenständige – von den Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörde unabhängige – Aufarbeitung des Sachverhalts wesentlich der Vorbereitung einer wirksamen Verteidigung dienen kann, ohne dass bereits eine konkrete Verteidigungsstrategie erörtert werden muss. Daher werden die Ergebnisse interner Compliance-Untersuchungen ebenfalls als geschützt angesehen werden müssen, wenn sie inhaltlich (auch) einer möglichen Verteidigung des Unternehmens gegen Verhängung von Geldbußen nach §§ 30, 130 OWiG dienen (können). Dies wertet die Arbeit und den Schutz der Arbeitsprodukte von Rechts- und Compliance-Abteilungen deutlich auf, insbesondere vor dem Hintergrund, dass in den meisten Compliance-Untersuchungen, die mögliche Verstöße gegen Straf- und Ordnungswidrigkeitsrecht zum Gegenstand haben, latent die Gefahr einer Unternehmensgeldbuße schlummert.
Kein Schutz von Unterlagen bei nicht beschuldigtem Unternehmen
Sofern der Gegenstand der internen Untersuchung keine Gefahr einer Verbandsgeldbuße oder einer sonstigen Nebenbeteiligung des Unternehmens begründet, unterliegen ihre Arbeitsergebnisse nach einem Beschluss des LG Mannheim keinem Beschlagnahmeverbot, wenn sich die Unterlagen der Internal Investigation im Gewahrsam des Unternehmens befinden (Beschluss vom 03.07.2012, Az. 24 Qs 1, 2/12 = NStZ 2012, 713 ff.). Nur wenn sich die Unterlagen im Gewahrsam der Rechtsanwälte befinden, sind diese beschlagnahmefrei. Soweit § 97 StPO keine spezielle Regelung treffe, ist nach Ansicht des LG Mannheim auf § 160a StPO zurückzugreifen. Zwar sehen die Mannheimer Richter – anders als die (noch) herrschende Meinung – den Anwendungsbereich des Beschlagnahmeverbots in § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO seinem Wortlaut nach nicht ausschließlich auf das Verhältnis zum Beschuldigten beschränkt. Doch gilt dies bis auf Verteidigungsunterlagen schlichtweg nicht für Dokumente im Gewahrsam des mandatierenden Unternehmens (§ 97 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Obwohl die im Rahmen einer internen Ermittlung befragten Mitarbeiter in keinem Mandatsverhältnis zu den die interne Untersuchung durchführenden Rechtsanwälten stehen, unterfallen letztere jedenfalls der Regelung des § 160a Abs. 1 StPO. Danach sind unter anderem gegen einen Rechtsanwalt solche Ermittlungsmaßnahmen unzulässig, über die dieser das Zeugnis verweigern dürfte; das Zeugnisverweigerungsrecht ergibt sich aus der Mandatierung durch das Unternehmen. Dementsprechend sind die Mandatsunterlagen, die sich bei den Rechtsanwälten befinden, beschlagnahmefrei. Unterlagen, die sich im Gewahrsam des (nicht beschuldigten) Unternehmens befinden, unterliegen keinem Beschlagnahmeschutz denn – so das LG Mannheim – es besteht keine Veranlassung, einem Zeugen größeren Schutz zuzuweisen als dem Beschuldigten.
Beschlagnahmeschutz bei den mandatierten Anwälten
Das LG Mannheim führt weiter aus, dass in Bezug auf die im Rahmen der Internal Investigation durchgeführten Mitarbeiterbefragungen (Interviews) notwendigerweise eine Vermischung zwischen den im Mandatsverhältnis geschützten Fragen mit den nicht geschützten Antworten der – nicht in einer Mandatsbeziehung zu den Anwälten stehenden – Mitarbeiter eintrete. Da die Fragen von den Antworten aber schwerlich trennbar seien, beziehe sich der Beschlagnahmeschutz bei den mandatierten Anwälten auf die Gesamtheit der Dokumente.
Um der Gefahr einer völligen Verschiebung der Kräfteverhältnisse im Strafprozess zu begegnen, soll den Mannheimer Richtern zufolge in Fällen evidenten Missbrauchs der weitgehende Schutz, den § 160a StPO dem Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandanten garantiert, verfassungskonform eingeschränkt werden. Ein solcher Missbrauch sei dann anzunehmen, wenn das Unternehmen gezielt beweisrelevante Unterlagen bei einem Rechtsanwalt in Verwahrung gebe oder mit geschützten Verteidigungsunterlagen vermische, um sie so dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden zu entziehen. Hätten Zeugen diese Möglichkeit, bestehe nach Ansicht der Richter die Gefahr einer unangemessenen Beeinflussung der Sachverhaltsaufklärung.
Fazit
Die weitreichende Entscheidung des LG Braunschweig stellt in begrüßenswerter Weise klar, dass ein schützenswertes Verteidigungsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Unternehmen bereits vor der förmlichen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens vorliegen kann. Sie privilegiert alle zum Zwecke der Verteidigung erstellten Unterlagen, unabhängig davon, ob sie extern oder intern gefertigt wurden, als Verteidigungsunterlagen und schützt sie damit vor staatlicher Beschlagnahme.