Wenn Unternehmen sich selbst reinigen
Im Blickpunkt: Der Ausschluss von Vergabeverfahren und die Selbstreinigung nach dem GWB
Gastbeitrag von Prof. Dr. Jürgen Wessing im Deutschen AnwaltSpiegel 23/2016
Bei Verstößen gegen das Wirtschaftsstrafrecht stellt sich für Unternehmen in erster Linie die Frage, welche sanktionsrechtlichen Folgen der Verstoß hat, ob also eine Strafbarkeit des Managements besteht und ob eine Geldbuße gegen das Unternehmen nach § 30 OWiG verhängt werden kann. In modernen Rechtsordnungen können Gesetzesverstöße jedoch darüber hinaus weitere schwerwiegende Folgen haben, die mitunter auch das Verhältnis zwischen Unternehmen und Staat betreffen. So können Unternehmen beispielsweise bei bestimmten Wirtschaftsdelikten, wie etwa Kartellrechtsverstößen, für einen bestimmten Zeitraum von Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber ausgeschlossen werden. Im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 2014/24/EU wurde in §§ 123 ff. GWB geregelt, unter welchen Voraussetzungen Unternehmen von Vergabeverfahren ausgeschlossen werden können und wie dies im Wege einer sogenannten Selbstreinigung durch freiwillige Compliancemaßnahmen verhindert werden kann. Trotz (oder gerade wegen) der Neuregelungen taucht gerade bei Kartellrechtsverstößen eine Reihe von Fallstricken und offenen Fragen auf.
Gründe für einen Ausschluss von Vergabeverfahren
Nach alter Rechtslage sollten Aufträge nur an „gesetzestreue und zuverlässige“ Unternehmen vergeben werden (§ 97 Abs. 4 GWB a.F.). Anstelle dieser generalklauselartigen Regelung sieht das Gesetz nun eine Reihe von konkreten Voraussetzungen vor, bei deren Vorliegen Unternehmen entweder zwingend oder fakultativ von Vergabeverfahren ausgeschlossen werden können. Die zwingenden Ausschlussgründe sind in § 123 Abs. 1 und Abs. 4 GWB geregelt. Dieser abschließende Katalog von Wirtschaftsdelikten umfasst insbesondere Geldwäsche (§ 261 StGB), Betrug, soweit er sich gegen den Haushalt der EU richtet (§ 263 StGB), Subventionsbetrug (§ 264 StGB), Korruptionsdelikte (§§ 299, 333, 334 StGB) sowie Verstöße gegen die Verpflichtung zur Zahlung von Steuern, Abgaben oder Beiträgen zur Sozialversicherung. Erforderlich ist nach dem klaren Gesetzeswortlaut eine rechtskräftige Verurteilung oder Festsetzung einer Geldbuße, so dass Strafbefehle nach § 407 StPO sowie Einstellungen unter Auflagen nach § 153a StPO nicht zu einem Ausschluss führen können. Das Verhalten einer rechtskräftig verurteilten Person wird gemäß § 123 Abs. 3 GWB dem Unternehmen zugerechnet, wenn diese Person als für die Leitung des Unternehmens Verantwortlicher gehandelt hat. Diese Vorschrift, die an § 30 Abs. 1 OWiG angelehnt ist, erfasst insbesondere Geschäftsführer, Aufsichtsratsmitglieder und Prokuristen, nicht hingegen sonstige Mitarbeiter in leitender Stellung. Von einem Ausschluss aus dem Vergabeverfahren kann gemäß § 123 Abs. 5 GWB abgesehen werden, wenn dies aus zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses geboten ist.
Bei den fakultativen Ausschlussgründen, die in § 124 GWB geregelt sind, muss der öffentliche Auftraggeber eine Ermessens- und Prognoseentscheidung treffen und dabei das Verhältnismäßigkeitsprinzip berücksichtigen. Hierbei ist auch zu bedenken, dass sich die in § 124 GWB aufgeführten Rechtsverstöße vom Unrechtsgehalt her durchaus unterscheiden. Zu den wichtigsten fakultativen Ausschlussgründen zählen Verstöße gegen Umwelt-, Arbeits- und Sozialrecht, die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens, wettbewerbsbeschränkende Absprachen, Schlechterfüllung sowie schwere Verfehlungen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit, durch die die Integrität des Unternehmens in Frage gestellt wird. Bei Wettbewerbsverstößen müssen gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB nach dem Gesetzeswortlaut „hinreichende Anhaltspunkte“ für eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung vorliegen. Abgestimmte Verhaltensweisen i.S.d. § 1 GWB können unter § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB fallen, wobei jedoch eine solche schwere Verfehlung „nachweislich“ begangen worden sein muss. Ein rechtskräftiges Urteil oder eine rechtskräftige Geldbuße sind nicht erforderlich, so dass wohl auch ein Settlement mit der Kartellbehörde ausreicht.
Das bloße Vorliegen eines Durchsuchungsbeschlusses oder die Mitteilung von Beschwerdepunkten durch die Kartellbehörde dürften jedoch im Regelfall kein ausreichender Nachweis dafür sein, dass tatsächlich eine schwere Verfehlung vorliegt.
Möglichkeit der Selbstreinigung
Auch beim Vorliegen von Ausschlussgründen kann ein Unternehmen weiter an Vergabeverfahren teilnehmen, wenn es gemäß § 125 GWB eine sogenannte Selbstreinigung durchführt. Es handelt sich um die Kodifizierung eines von der Rechtsprechung anerkannten Instruments, bei dem das betroffene Unternehmen das Vorliegen von drei kumulativen Voraussetzungen nachweisen muss: Erstens muss eine Wiedergutmachung für Schäden, die durch die Straftat oder das Fehlverhalten verursacht wurden, erfolgen. Hier stellt sich die Frage, was bei Schadensersatzforderungen gilt, die dem Grunde oder der Höhe nach umstritten sind. Dies spielt vor allem bei Kartellrechtsverstößen oft eine Rolle, da die Schadensberechnung wegen Schwierigkeiten bei der Ermittlung des hypothetischen Marktpreises und der Möglichkeit einer Passing-on-Defense hochkomplex ist. Nach richtiger Auffassung muss es in derartigen Fällen genügen, wenn das Unternehmen sich generell zur Zahlung eines Ausgleichs bereit erklärt.
Zweitens muss das Unternehmen aktiv an der Sachverhaltsaufklärung mitwirken. Dies erfordert in der Regel zunächst eine interne Untersuchung und sodann eine aktive Zusammenarbeit mit der Ermittlungsbehörde und dem öffentlichen Auftraggeber. In Kartellrechtsfällen können Unternehmen, die bereits im Bußgeldverfahren aufgrund der Kronzeugenregelung mit der Kartellbehörde kooperiert haben, auf ihren Bonusantrag zurückgreifen.
Drittens muss das Unternehmen konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergreifen, die geeignet sind, weitere Straftaten oder weiteres Fehlverhalten zu vermeiden. Hierzu ist die Einführung oder Überprüfung eines Compliancemanagementsystems erforderlich. Die Erforderlichkeit konkreter Maßnahmen ist einzelfallabhängig. Mitunter muss ein Unternehmen, wenn es die Selbstreinigung glaubhaft machen möchte, sich von denjenigen Unternehmensmitarbeitern, die den Verstoß begangen haben, trennen. Doch bei Kartellverstößen kann nicht von einem Unternehmen erwartet werden, dass es Mitarbeiter, die sich im Rahmen des Kronzeugenantrags aktiv um eine Sachverhaltsaufklärung bemüht und sich freiwillig selbst belastet haben, anschließend im Rahmen der Selbstreinigung entlässt. Ergreift das Unternehmen keine (oder keine ausreichenden) Selbstreinigungsmaßnahmen, darf es bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 123 GWB höchstens fünf Jahre ab dem Tag der rechtskräftigen Verurteilung von der Teilnahme an Vergabeverfahren ausgeschlossen werden oder bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 124 GWB höchstens drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis. Bei Kartellrechtsverstößen bleibt abzuwarten, ob dieser in § 126 GWB geregelte Fristablauf in der Praxis nicht größere Bedeutung haben wird als die Selbstreinigung.
Mögliche Einführung eines Bundeskorruptionsregisters
Der Gesetzgeber prüft aktuell, ob die Einführung eines Bundeskorruptionsregisters, das den Vergabestellen als zentrale Informationsquelle dienen soll, sinnvoll wäre. Bislang gibt es nur einzelne Länderkorruptionsregister mit teilweise unterschiedlichen Regelungen. Doch derzeit scheint es noch viele offene Fragen zur möglichen Einführung eines einheitlichen Bundeskorruptionsregisters zu geben: Welche Delikte genau sollen eingetragen werden? Soll eine Meldepflicht der Strafverfolgungsbehörden bestehen? Wie sieht es mit Verurteilungen im Ausland aus? Soll bei einer erfolgreichen Selbstreinigung eine Tilgung des Registereintrags erfolgen, und wer beurteilt, ob eine Selbstreinigung erfolgreich war?
Fazit
Es ist wie so oft: Die Neuregelung schafft zwar in vielen Punkten Klarheit, wirft zugleich aber neue Fragen auf und schafft weiteren Regelungsbedarf. Für Unternehmen ist der beste Rat immer noch, „sauber zu bleiben“ – damit eine Selbstreinigung gar nicht erst nötig wird.